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Lagebericht

Die Musikzeitschrift VISIONS titelte im August mit einer Geschichte namens „Kulturkampf Musik“. Das klingt monumentaler als es ist, denn die Wahrheit ist: Die Tonträger-Musik und ihre Mechanismen, wie wir sie lange Jahre kennen und lieben gelernt haben, steht vor dem Abgrund. Es ist kinderleicht, sich jede Art von Musik, die man gerne hören möchte, umsonst zu beschaffen – aus dem Internet, aus dem CD-Brenner. Auf die Idee, dass jede Kopie, jeder illegale Downloads Diebstahl sind, kommt kaum jemand. Musik, das ist für viele nur noch eine frei verfügbare, nicht-materielle Datei. Und wenn man jemandem schadet, denn der großen, bösen Plattenindustrie, die dem Musikfan doch eh jahrelang das Geld aus der Tasche gezogen hat.
Wir denken manchmal auch so. Jetzt haben wir aber zum ersten Mal selber einen Tonträger aufgenommen. Endlich. Endlich hatten wir das Geld dafür, denn es kostet auch heute – in einer Zeit, in der Technik einfacher verfügbar ist und Presskosten für CDs sinken – eine ganze Menge Geld, ein Album aufzunehmen. Da sind reelle Kosten wie Proberaummieten, Instrumente und Equipment, die Kosten für den Engineer und das Mastering, die Pressung und das Booklet. Da sind aber auch die Ideen und die kreative Arbeit, die wir in die Platte gesteckt haben.
Wir sind eine von den Bands, die mit der Musik nicht ihr Geld verdienen müssen. Trotzdem finden wir es überaus schade, wenn wir für das Album draufzahlen müssten, obwohl es genügend Menschen gibt, die sich diese Platte ins Regal stellen möchten – aber die 13 Euro sparen und sich das Album brennen oder herunterladen. Wir glauben aber auch daran, dass die meisten Leute, die dies lesen, die Popmusik so sehr lieben, dass sie verantwortungsvoll mit den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters umgehen.
Stars Play Music.




Ein Team der Wochenzeitschrift Die Zeit hat uns an einem Tag der Aufnahmen in Hamburg besucht und eine Fotoreportage über die Arbeit mit Tobias Levin erarbeitet. Zu sehen ist die Galerie hier.
http://www.zeit.de/online/2007/25/bg-levin

Sebastians Studio-Logbuch

Tag 0

Die Sonne scheint rot am Abend, das Auto schnurrt, und ich sause etwas müde mit kleinen Augen durch die Serpentinen des deutschen Mittelgebirges. Die Autobahnen sind voll, ich bin schlau und umgehe die Staus. Gerade haben Ines und ich den Bereich des WDR erreicht und Klaus Fiehe spielt ein Lied, es heißt „Song For Brian“, und es ist von Go Plus. Die Wälder schillern in der Sonne und in dieser Musik. Ich bin bald zu Hause in Münster, und am folgenden Tag kaufe ich mir das Album „Largo“ bei ELPI, will „Song For Brian“ wieder hören. Der Produzent heißt Tobias Levin. Ich merk’ mir so was.

Tag 1

Die Sonne scheint rot am Abend, der Kleinlaster schnurrt, und wir sausen etwas müde mit kleinen Augen über die A1 in Richtung Norden. Gerade habe ich mich vielleicht etwas zu abrupt von meinem Job entfernt, schnell das Vehikel abgeholt und einen Kaffee gestürzt. Am Gleis 22 warten schon Alexandra und Carsten. Die Herren räumen den Probenraum leer und packen alles in den Laster, während die Prinzessin das Hab und Gut im Wagen überwacht. Die Autobahn ist leer, es geht voran, keine Atempause – sozusagen. Der Autoverleih hat uns allerdings einen Kleinlaster mit defektem Radio angedreht. Deshalb muss Carsten aus dem Hamburg- Reiseführer vorlesen:

„Missingsch, das ist Hochdeutsch mit plattdeutschen Einsprengseln. Wenn ein Plattdüütscher versucht, hochdeutsch zu sprechen und ihm immer wieder seine Muttersprache in die Quere kommt, dann spricht er missingsch.“ Die Stimmung ist gut. Wir möchten alles über Hamburg erfahren! „Als ,Rundstück warm’ bezeichnet man in Hamburg eine Brötchenhälfte, auf die eine Scheibe warmer Braten gelegt wird, und die danach mit Soße übergossen wird. Als Beilagen dienen eingelegte Gurken.“ Carsten wächst über sich hinaus, und Alex macht mal einen Moment die Augen zu. Marc ist schon seit ein paar Tagen in Hamburg, André wird morgen ankommen. Wir erreichen unser Ziel nach lehrreicher und kurzweiliger Fahrt, ich werde hervorragend gelotst von meinen Beifahrern, und da ist sie schon: die Admiralitätsstraße.

Im Westwerk herrscht noch etwas Betrieb. Einige Künstler haben Installationen ausgestellt. Die Tür zum Studio öffnet sich und hinaus tritt Herr Levin mit bescheidenem, jungenhaft verschmitztem Gesichtsausdruck und einem sympathischen Händedruck: „Hallo, ich bin Tobias! Herzlich willkommen!“

Tag 2

Nachdem ich gestern am späten Abend 90 geschlagene Minuten auf mein Taxi gewartet habe, um dann festzustellen, dass meine Gastwohnung in zehnminütiger Fußmarschentfernung entfernt liegt, erwartet mich ein warmer Empfang bei meinen Gasteltern Annika und Martin. Das sind ungelogen die nettesten Menschen Hamburgs – nein, was sage ich – selbst Norddeutschland wäre noch untertrieben, also: das ist das netteste Ehepaar der gesamten norddeutschen Tiefebene, mindestens. Die arme Annika muss morgen früh raus, hat aber mit Martin zusammen tapfer gewartet – und da stehe ich, die Isomatte unter den Arm geklemmt. Nachdem ich auf ihrer schwedischen Hochzeit vor zwei Jahren wohl ein bisschen zu betrunken war, ist es verständlich, dass ich mit einem Glas Mineralwasser begrüßt werde. Und im Gästezimmer ist bereits eine Bettstatt gerichtet, ich schlafe wie ein Stein, nachdem ich Martins Fragen noch kurz Revue passieren lasse: „Wie schreibt Ihr eigentlich Eure Songs?“ „Wie werdet Ihr zukünftig leben als Popstars?“ „Wird Euch der Erfolg zu Kopf steigen?“ Das ist investigativer Journalismus!

Ich werde geweckt von leckerem Toastgeruch. Das Frühstück ist perfekt, die Sonne scheint um 9 Uhr in die Küche. Annika ist schon längst aus dem Haus und Martin plaudert über seinen ersten öffentlich-rechtlichen Fernsehauftritt als NDR-Motorradkommentator beim bevorstehenden Hamburg-Marathon. Ein wenig nervös sei er schon! Ich bin’s auch, denn gleich werden unsere Studioaufnahmen beginnen.
Mit dem Bus vorbei an herrschaftlichen Giebelhäusern, die Sonne glitzert auf der Alster und schon bin ich wieder an der Admiralitätsstraße. Im Westwerk muss man nun einen abenteuerlichen Weg beschreiten: durch einen dunklen, gewundenen Treppenabgang, vorbei an alten Fahrrädern, an einer Tür steht in ausgeblichener Schrift „Damenumkleide“, nun kommen zwei schwere Türen, ein weiterer Gang, und es wird heller! Ich bin in den Electric Avenue Studios angekommen!

Es finden sich unzählige Musikinstrumente, darunter ein Mellotron, Gitarren, Schlagzeugteile, Kabel, Kabel, Kabel. Im hingegen sehr wohnlichen Mischraum liegt auf der Fensterbank eines der beiden kleinen Kellerfenster, durch die das Sonnenlicht scheint, ein Blatt Papier: Die handschriftlich notierten Streicherarrangements von „Hey, Freaks“ vom weißen TOCOTRONIC-Album.

Man blickt hier direkt auf das Fleet. Das Kellerstudio im alten, gewaltigen Lagerhaus liegt gewissermaßen auf Wasserstandshöhe, ein erster Ausflugsdampfer tuckert vorbei. Der Kapitän spricht durch ein Megaphon in breitem, hanseatischem Zungenschlag. Missingsch? Ich kann Carsten nicht fragen, denn er ist bereits schwer damit beschäftigt, sein Schlagzeug sachgerecht zu mikrofonieren. Er sitzt fast schwerelos auf einem federnden Podest im Aufnahmeraum, schlägt wie ein Galeerensklavenantreiber auf die Snare und nickt mir kurz zu.

Zwischen unzähligen Kabeln und antiquierten Mikrophonen wuseln derweil Tobias und seine ausgesprochen nette Freundin Gwendolin; es wird gestöpselt, getestet, gemacht und getan. Tobias pendelt zwischen Aufnahmeraum und Mischpult. Kommuniziert wird über ein Mikro, ein Sichtfenster befindet sich zwischen den Räumen. Während die Bandkollegen langsam eintrudeln, unter ihnen auch der feine Herr Bosse („Cap, Blue Jeans, White Shoes – he’s ready for the weekend!“), zeigt sich erste Anspannung. Wir lümmeln uns auf dem roten Ledersofa hinter dem Mischpult. Einige Witzchen und launige Kommentare werden geraunt, unhörbar für Tobias Levin, denn wir wollen ja nicht aus dem Rahmen fallen und sofort einen albernen Eindruck hinterlassen.

Carsten schlägt derweil seriös auf die Standtom. „Ob das gut geht mit dem Livespielen?“ fragt André. Wir haben zuvor zwar intensiv geprobt und wollen die Instrumentaltracks unseres Albums live einspielen. Das klingt einfach dynamischer, als eine Overdub-Aufnahme und – auch nicht unwichtig – wir können die zugegebenermaßen nicht ganz billige Studiozeit nutzen, um möglichst viele Songs aufzunehmen. Aber ob wir uns damit nicht doch etwas zu viel zutrauen? Aber der heutige Tag wird wohl dafür draufgehen, erst mal alle Instrumente und Verstärker zu justieren.

Tag 3

Der Schriftzug der etwas spelunkenhaft anmutenden Kneipe an der Großen Freiheit ist etwas undeutlich, so lese ich zunächst etwas verwundert „Thai-Vase“ anstatt „Thai-Oase“. Nachdem wir, berauscht durch ein unverhältnismäßig laues Frühlingslüftchen, über die Reeperbahn gelaufen sind, haben wir uns auf dieses Etablissement geeinigt. Marc berichtete, er sei vor ein paar Jahren mal dorthin mitgenommen worden, und die etwas abgehalftert wirkenden Thai-Mädchen hätten sehr bizarr gesungen und sich dazu aufreizend bewegt, wenn sie gerade nicht bedienten. Und sie hätten mit hohen Stimmen gequiekt, zu käsigem, ostasiatischem Karaokesound, aufgelegt von einem grobschlächtigen Menschen, optisch einer fünfzigjährigen und nach Pommesfett stinkenden Version von Pharrell Williams nicht unähnlich, dem Chef dieses Lokals. Das müsse man erlebt haben.

Beim Eintreten ist der Laden bereits gerammelt voll. Wir finden einen Tisch mit Blick auf die Karaokebühne. Wir bestellen Heineken in kleinen Flaschen. Das war ein ziemlich guter Tag heute. Vier Stücke sind fertig aufgenommen, es ist uns tatsächlich gelungen, die Instrumentalparts einzuspielen. Alex wirkte zwar zeitweise etwas gedrückt, hätte sie doch auch schon gern ihre Stimme zum Einsatz gebracht, jedoch sind wir anderen sehr froh, dass sie dabei ist, im Aufnahmenraum Partystimmung verbreitet, uns gewissermaßen dirigiert und dabei so tut, als würde sie mitsingen. Wir Instrumentalisten haben so den Eindruck, dass tatsächlich gesungen wird, die Band ist vollständig, was das Zusammenspiel erleichtert. Dank Levins kritischer und bildhafter Anmerkungen gelingt es uns außerdem, unser Zusammenspiel zu schulen, uns schon vor dem Beginn des Stückes auf die Atmosphäre einzustimmen, diese Stimmung abzurufen. Und vier Stücke am ersten Aufnahmetag: das ist eine Bilanz, mit der niemand von uns wirklich gerechnet hat. Wir sind zufrieden.

Mittlerweile sind wir beim zweiten Heineken angelangt, und draußen ist es dunkel geworden. In der „Thai-Oase“ hören wir gleichermaßen verstört und fasziniert einem etwa vierzigjährigen, vorgealtert wirkendem Herrn in dunkelbraunem Anzug, mit krausem Haar, randloser Brille und Silberkettchen zu. Er scheint hier regelmäßig zu verkehren und interpretiert gerade den Titel „It’s So Funny, That We Don’t Talk Anymore“ von Cliff Richard. Die ostasiatische Moogimitation und die Keyboardfanfaren schillern, der fettleibige Thai-Chef singt mit versteinerter Mine gelegentlich eine Zweitstimme, sitzt dabei am Rand der Bühne mit vorgestülpter Wampe auf einem Barhocker und bedient mit geschwindem Finger den Karaokecomputer. Als nächstes singt eine Gruppe von Schulmädchen gemeinsam „Like A Prayer“ und verleiht dem Stück damit einen – euphemistisch gesprochen – angepunkten Girlpopsound der 80er, als hätten die frühen Bananarama dieses Lied aus der Traufe gehoben, bevor Madonna damit chartete.

Mittlerweile haben wir die sehr spackige Songliste entdeckt, und das, was auf dem Weg in die „Thai-Oase“ noch allgemeiner Konsens war – „nur zuzuschauen“ –, verflüchtigt sich mit dem dritten, vierten Bier. Schon werden die ersten Pläne geschmiedet – „Aber ich singe nur, wenn Du auch singst!“ – und schon gehen die Zettel nach vorn zum Chef.
Zu spät entdecke ich, dass „Always On My Mind“ von Elvis „The Pelvis“ Presley hinter dem dicken Thailänder auf der „Liste der heute verbotenen Songs“ steht. Ich beschließe also mutig, zu den Wurzeln der frühesten Jugendzeit zurückzukehren, und „Take On Me“ von A-ha zu interpretieren, vom Album „Hunting High and Low“, meinem ersten selbstgekauften Popalbum. Und schon bin ich dran! Als erstes! Nein! Aber, was soll ich sagen: das Falsett gelingt, wie Morten Harket es nicht besser machen könnte. Der Saal tobt! Darauf ein Heineken! Als nächstes kommt Alex an die Reihe: „Don’t Speak“ von No Doubt, jetzt kann sie alles entladen, was sich heute im Studio aufgestaut hat! Singen, wie nur sie es kann! Die Schulmädchen, die sich wieder für den nächsten Song eingetragen haben, fragen: „Seid Ihr eigentlich eine Band?“ Na klar, wartet erst mal auf die anderen Mitglieder!
Nachdem Carsten und Marc ihre energiegeladenen Interpretationen älterer Beatles-Smasher („She loves You!“ und „Ticket to Ride“) unter dem Einfluss mehrerer Heineken und dem tosenden Applaus einer mittlerweile vollkommen aus dem Häuschen geratenen Audienz absolvieren – wobei der blondgelockte Typ, der in professioneller Manier die Abba- Songs mit den deutschen Mamma Mia-Musical Texten absingt, bereits vollkommen gefrustet und eifersüchtig ist – und André, etwas irritiert über eine nicht nachvollziehbare, wenig lustige Textvariation am Computerbildschirm, Billy Joels „Uptown Girl“ ein neues Outfit verpasst, wird es Zeit für das große Finale.

Das Publikum erwartet unsere Interpretation von „We Are The World“, dem großen Charity-Klassiker der 80er Jahre. Das Abwinken des Karaokechefs nach bereits fünf Minuten wird ignoriert, die Band liegt sich nach acht Minuten gerührt in den Armen. Publikum und Lokalpersonal sind nun nach der geballten Präsenz von Stars Play Music anscheinend aber nicht ganz so traurig darüber, dass wir endlich aufbrechen. Was für ein Highlight am Schluss unseres ersten Aufnahmetages. Und morgen die nächsten vier Songs in den Kasten. Gute Nacht.